Wo ist Ryan?

Vermisstensuche

Wo ist Ryan?

Ein Mann verschwindet in Berlin spurlos. Die Polizei unternimmt zunächst nichts, aber Familie und Freunde suchen ihn und geraten so in einen seelischen Ausnahmezustand.

ZEITmagazin ONLINE, 02.02.2022

Text: Sebastian Höhn, Fotos: Nadja Wohlleben

Drei Stunden lang steht Micki R., die schwarze Kunstpelzmütze tief in die Stirn gezogen und von ihrem Freund im Arm gehalten, am Seeufer und wartet, dass es losgeht. Als der Taucher von einem Polizeiboot ins Wasser gleitet und kurz darauf nur noch seine Luftblasen an der Oberfläche zu sehen sind, sagt sie: „Ich möchte jetzt gehen.“ Der Taucher im Wasser – es ist der Moment, auf den die 35-Jährige zwei Wochen lang gewartet hat. Der Beweis, dass sie und ihre Familie endlich ernst genommen werden in der Sorge um Ryan Mizgaiski, den Cousin von Micki R., der kurz vor Weihnachten in Berlin spurlos verschwunden ist. Micki R. sucht nach Gewissheit – doch sie ahnt, es nicht ertragen zu können, falls der Taucher tatsächlich fündig wird.

Vermisstensuche in der Rummelsburger Bucht in Berlin nach Ryan MIzgaiski

Zuvor sind mehrere Polizeiboote über Teile des Rummelsburger Sees gekreuzt, eine 1,6 Kilometer lange Ausbuchtung der Spree in der östlichen Berliner Innenstadt. Ihre Sonare haben mit Schallimpulsen den Grund in zwei bis drei Metern Tiefe nach menschlichen Umrissen abgetastet. Kein leichtes Unterfangen, denn der Boden des Sees besteht aus Schlick. An zwei Stellen entdeckten die Beamten Auffälligkeiten auf ihren Bildschirmen.

Während Micki R. und ihr Freund weggehen, beginnt der Taucher, den Grund des Sees näher zu untersuchen. Die zwei markierten Stellen befinden sich kaum 50 Meter vom Ufer entfernt. Ganz nah an einer der Inseln aus alten Segelschiffen, Zeltplanen und selbst gebauten Hausbooten, die in der Rummelsburger Bucht wie schwimmende Wagenburgen vor Anker liegen. Auf einer dieser Bootsinseln verliert sich die Spur von Ryan Mizgaiski. Am späten Nachmittag des 20. Dezember ist der 39-Jährige dort zum letzten Mal auf einer Feier gesehen worden.

Wasserschutzpolizei und Angehörige suchen in der Rummelsburger Bucht in Berlin nach dem vermissten Ryan Mizgaiski.

Am Uferweg, wo an diesem Dienstag Ende Januar trotz des Sprühregens Joggerinnen ihre Runden drehen, ist Mizgaiski überall präsent. Sein Gesicht prangt auf großen Zetteln mit der Überschrift „Missing“, vermisst, an Laternenpfählen und Zäunen. Auf dem Foto blickt er die Betrachter direkt an. Zugewandtes Lächeln, weiche, freundliche Züge, leicht gebräunte Haut, gepflegte dunkle Haare, ein Mann, der viel jünger aussieht, als er ist. Und dessen Bild bereits verblasst, dort, wo es Wind und Regen ausgesetzt ist. Es ist jetzt mehr als einen Monat her, dass er verschwunden ist. Seit Anfang Januar sucht seine Familie nun nach ihm – die Polizei, sagen sie, sei zunächst nicht aktiv geworden. Auch der Beginn des Tauchereinsatzes in der Rummelsburger Bucht hätte sich, so ihre Vermutung, ohne ihre Hinweise und ihr Drängen noch länger hingezogen.

Nachtrag: Ryan Mizgaiski wurde Mitte Februar 2022 in der Rummelbsburger Bucht tot im Wasser gefunden. Nachdem sich seine Angehörigen und Freunde von ihm verabschiedet hatten, reiste sein Bruder nach Sri Lanka, um seine Asche dort den Kräften der Natur zu übergeben. Ryans Traum war es, noch einmal nach Sri Lanka zu reisen.