Wo ist Ryan?
Vermisstensuche
Wo ist Ryan?
Ein Mann verschwindet in Berlin spurlos. Die Polizei unternimmt zunächst nichts, aber Familie und Freunde suchen ihn und geraten so in einen seelischen Ausnahmezustand.
ZEITmagazin ONLINE, 02.02.2022
Text: Sebastian Höhn, Fotos: Nadja Wohlleben
Zuvor sind mehrere Polizeiboote über Teile des Rummelsburger Sees gekreuzt, eine 1,6 Kilometer lange Ausbuchtung der Spree in der östlichen Berliner Innenstadt. Ihre Sonare haben mit Schallimpulsen den Grund in zwei bis drei Metern Tiefe nach menschlichen Umrissen abgetastet. Kein leichtes Unterfangen, denn der Boden des Sees besteht aus Schlick. An zwei Stellen entdeckten die Beamten Auffälligkeiten auf ihren Bildschirmen.
Während Micki R. und ihr Freund weggehen, beginnt der Taucher, den Grund des Sees näher zu untersuchen. Die zwei markierten Stellen befinden sich kaum 50 Meter vom Ufer entfernt. Ganz nah an einer der Inseln aus alten Segelschiffen, Zeltplanen und selbst gebauten Hausbooten, die in der Rummelsburger Bucht wie schwimmende Wagenburgen vor Anker liegen. Auf einer dieser Bootsinseln verliert sich die Spur von Ryan Mizgaiski. Am späten Nachmittag des 20. Dezember ist der 39-Jährige dort zum letzten Mal auf einer Feier gesehen worden.
Am Uferweg, wo an diesem Dienstag Ende Januar trotz des Sprühregens Joggerinnen ihre Runden drehen, ist Mizgaiski überall präsent. Sein Gesicht prangt auf großen Zetteln mit der Überschrift „Missing“, vermisst, an Laternenpfählen und Zäunen. Auf dem Foto blickt er die Betrachter direkt an. Zugewandtes Lächeln, weiche, freundliche Züge, leicht gebräunte Haut, gepflegte dunkle Haare, ein Mann, der viel jünger aussieht, als er ist. Und dessen Bild bereits verblasst, dort, wo es Wind und Regen ausgesetzt ist. Es ist jetzt mehr als einen Monat her, dass er verschwunden ist. Seit Anfang Januar sucht seine Familie nun nach ihm – die Polizei, sagen sie, sei zunächst nicht aktiv geworden. Auch der Beginn des Tauchereinsatzes in der Rummelsburger Bucht hätte sich, so ihre Vermutung, ohne ihre Hinweise und ihr Drängen noch länger hingezogen.
Nachtrag: Ryan Mizgaiski wurde Mitte Februar 2022 in der Rummelbsburger Bucht tot im Wasser gefunden. Nachdem sich seine Angehörigen und Freunde von ihm verabschiedet hatten, reiste sein Bruder nach Sri Lanka, um seine Asche dort den Kräften der Natur zu übergeben. Ryans Traum war es, noch einmal nach Sri Lanka zu reisen.