Schweinearbeit

Tierrechtsaktivistin

Schweinearbeit

In deutschen Zucht- und Mastbetrieben werden Abermillionen von Schweinen gehalten. Unter welchen Bedingungen, wissen selbst die Kontrollbehörden oftmals nicht. Unterwegs mit einer Tierrechtsaktivistin, die nachts in Ställe eindringt.

Süddeutsche Zeitung, 02./03.07.2022

Nur eine Stunde hat Anna Schubert noch, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Sie sitzt auf der Rückbank ihres Autos, ein Mitaktivist lenkt es über die Autobahn. Raus aus Berlin, rein ins nachtdunkle Brandenburg. Draußen ziehen Kiefernwälder vorbei und Häuser mit heruntergezogenen Rollläden. Anna, 31 Jahre alt, ein Piercing in der Unterlippe, die blonden Dreadlocks zu einem Zopf geflochten, speichert Koordinaten in ein GPS-Gerät, erklärt einem Neuling, der zum ersten Mal dabei ist, die Codewörter. Begriffe, die er sich einprägen soll, für den Fall, dass etwas schief geht.

Ihrem Auto folgt in weitem Abstand noch ein Wagen mit drei weiteren Aktivisten. Sie sind unterwegs zu einer großen Schweinezuchtanlage, verborgen in der brandenburgischen Provinz, zwischen weiten Kiefernwäldern, Windkraftanlagen, Ackerflächen. Anna Schubert und die fünf anderen sind Rechercheaktivisten. Tierrechtlerinnen, die nachts in Großställe, Mastanlagen und Schlachthöfe eindringen, um zu dokumentieren, wie dort mit Tieren umgegangen wird, fernab der Öffentlichkeit. Was sie tun, ist illegal. Was sie aufdecken aber meistens auch.

Regelmäßig enthüllen Aktivistinnen wie Anna Schubert Grausames: Ferkel, die an Eisenstangen totgeschlagen werden, Bio-Hühner, die sich gegenseitig kahl picken, Rinder, die bei lebendigem Leib geschlachtet werden, nachdem der Bolzenschuss versagt hat.

Schubert und ihr Team suchen jeden Monat etwa zehn Betriebe auf. Besonders oft nehmen sie sich die Schweinehaltung vor. Die Anlagen wählten sie meist zufällig aus, sagt Schubert. Beim Fleischverzehr der Deutschen steht das Schwein nach wie vor auf Platz eins. 2021 wurden hierzulande fast fünf Millionen Tonnen Schweinefleisch produziert, gerade einmal 0,8 Prozent davon in Bio-Betrieben mit strengeren Haltungsbedingungen.

Trotz des hohen Fleischkonsums wächst in Deutschland das Bewusstsein für das Wohl von Schweinen, Hühnern und Rindern. In Umfragen lehnt regelmäßig eine große Mehrheit die industrielle Tierhaltung in der jetzigen Form ab. Der Anteil der sich vegetarisch und vegan Ernährenden steigt seit Jahren.

Anna Schubert sagt, das Leben von Schweinen in der Massentierhaltung sei vor allem eines: eine Qual. Verstöße gegen Tierschutzvorgaben seien in diesen Betrieben nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Die Aktivisten parken abseits eines Forstwegs im Wald. Sie bereiten die Kameras vor, setzen sich Headsets in die Ohren, schließen sachte die Autotüren. Kein Licht und keine Geräusche – das ist jetzt oberstes Gebot. Zwischen den Kieferstämmen ist die Schweinezuchtanlage zu erahnen. Flache Gebäude mit schwach erhellten Fenstern, dahinter das rote Blinken eines Windparks. Während sich die Aktivisten dem Zaun nähern, spähen sie immer wieder mit einer Wärmebildkamera und einem Nachtsichtgerät in die Dunkelheit. Ein Jäger auf einem Hochsitz, eine Überwachungskamera, Betriebsmitarbeiter auf dem Gelände – all das können sie jetzt nicht gebrauchen.